Ein Konzept mit Fallbeispielen zum Content- und Tool-Funding beschreibt, wie die Finanzierung von OER-Autoren gelingen könnte.
„Open Educational Resources (OER) sind Bildungsmaterialien jeglicher Art und in jedem Medium, die unter einer offenen Lizenz veröffentlicht werden. Eine solche offene Lizenz ermöglicht den kostenlosen Zugang sowie die kostenlose Nutzung, Bearbeitung und Weiterverbreitung durch Andere ohne oder mit geringfügigen Einschränkungen. Dabei bestimmen die Urheber selbst, welche Nutzungsrechte sie einräumen und welche Rechte sie sich vorbehalten.“ Zitat von der Website der Deutschen UNESCO Kommission
Im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD aus dem Jahr 2013 sind OER erwähnt: „Schulbücher und Lehrmaterial (…) sollen, soweit möglich, frei zugänglich sein, die Verwendung freier Lizenzen und Formate ausgebaut werden.“ Diese Erklärung blieb offensichtlich folgenlos. Ergebnisse sind jedenfalls schwer auffindbar. Das ist sowohl auf unseren Föderalismus als auch auf die bürokratischen Hürden bei der Bildungsförderung zurück zu führen. Bekenntnisse zu OER klingen gut und sind billig. Die Produktion von OER ist jedoch nicht zum Nulltarif zu haben und bedarf einer umfassenden Finanzierung. Autoren, die freie Lehrmaterialien erstellen, haben ein Recht auf Entlohnung. Viele würden ihr Material sofort als OER bereitstellen, wenn sich Mäzene für die Zahlung angemessener Honorare finden. In unserem Land funktioniert das Mäzenatentum jedoch nur in PR-trächtigen Sportarten.
Warum sollte man Budgets für die OER-Beschaffungen bereitstellen, wenn andere, die das nicht tun, den gleichen Nutzen davon haben?
Wer investiert will Vorteile haben!
Daher müssen Investoren belohnt werden. Z.B. durch die frühzeitige Nutzung von Bildungsmaterialien, die erst im zeitlichen Abstand von zwei Jahren nach einer vollständigen Finanzierung und Fertigstellung als OER bereitgestellt werden. Private und öffentliche Investoren zahlen für die erhaltenen Vorabversionen, wenn die von ihnen präferierten Gruppen dadurch Vorteile haben und ihnen nebenbei ein Imagegewinn als Förderer von Bildung zufällt.
Fallbeispiel zu einem Content-Funding Projekt
„OER-Beschaffung zur digitalen Grundausbildung“
Der Autor X hat als IT-Trainer in vielen Berufsjahren die Kurse zum Computerführerschein auf der Basis eines anerkannten Lernzielplans selbst produziert und zusammengestellt. Die umfangreichen Materialien dienen der Prüfungsvorbereitung für den Europäischen Computerführerschein auf der Basis von 7 Modulen. Im Gesamtumfang sind hunderte von Videos und Prüfungsfragen zur Selbsteinschätzung enthalten. Alle Jahre wieder gibt es neue Software-Versionen. Jetzt muss das 3 bis 10 Jahre alte Material aktualisiert werden.
Zu finanzierende Leistung: Der Autor X benötigt ca. ein Jahr, um das Material auf den Stand von 2017 zu bringen. Für seine Autorentätigkeit und seine vertraglich zugesicherte Bereitschaft, das Material im Abstand von zwei Jahren nach der vollständigen Finanzierung als OER freizugeben, setzt der Autor einen Honorar-Einmalbetrag von 100.000 Euro fest.
Gegenleistung: Investoren, die sich gemeinschaftlich an der Finanzierung des Honorars vom Autor X beteiligen, erhalten regelmäßig die neueste Version und dürfen diese innerhalb des vereinbarten Rahmens nutzen. Dazu stellt der Autor der Nutzergruppe des Investors Y das gesamte vorhandene Material bereit – zwei Jahre bevor es allgemein als OER genutzt werden darf. Die von den Investoren benannten Nutzergruppen können auf Wunsch als Betatester im Produktionsprozess einbezogen werden, um dem Autor X Verbesserungen vorzuschlagen. In den beiden Jahren bis zur Umwandlung in OER gilt für das Material das übliche Urheberrecht mit „Alle Rechte vorbehalten“. Wer nicht bis zur OER-Freigabe warten will, kauft sich vorher die gewünschten Nutzungsrechte vom Autor. Wenn dessen Einnahmen seine mit 100.000 Euro definierte Gewinnschwelle übersteigen, kann er sie zur Anschubfinanzierung von Folgeprojekten nutzen. Als freischaffender Künstler kann er neue Projekte den in Frage kommenden Investoren erst ab einem bestimmten Grad der Fertigstellung anbieten. So können dann auf die gleiche Weise zukünftige OER geplant und bereitgestellt werden.
Fallbeispiel zu einem Tool-Funding-Projekt für Lernplattformen
„OER-Quiz-Generator zur Erstellung von Fragen für Lernkontrollen und Selbsttests“
Der Programmierer und Autor X hat ein Tool erstellt, mit dem automatisch auswertbare Tests in wesentlich kürzerer Zeit produziert werden können als bisher.
Zu finanzierende Leistung: Anstelle von manuellen Einträgen in Fragenerfassungsformularen auf Lern-Plattformen treten automatische Abläufe zur Produktion importier barer XML-Dateien.
Aus Tabellen werden die Fragen und Antworten automatisch eingelesen und verarbeitet. Bei vorliegenden Vokabellisten sowie ähnlichen Zuordnungs- und Multiple-Choice-Fragen beschleunigt der Generator die Erfassung um ein Vielfaches. Die verfügbaren Quizgeneratoren liefern JavaScript-Dateien und Moodle-XML für die in Europa am weitesten verbreitete Lernplattform. Basis für die Verwaltung der Fragen und Antworten ist die verbreitete Standardsoftware Excel mit der integrierten VBA-Entwicklungsumgebung und einem zusätzlichen Compiler.
Gegenleistung: Jeder kann seine Fragen und Antworten mit dem Quiz-Generator in Tabellen verwalten und auf Knopfdruck eine importier bare Fragensammlung erzeugen. Die Sortier- und Filterfunktionen zur Fragenauswahl sind den meisten Kursleitern und Dozenten bekannt, wenn sie mit Tabellenkalkulations- und Datenbanksoftware vertraut sind. Gegebenenfalls können diese Kenntnisse schnell erworben werden. Die Handhabung des Tools ist dann in wenigen Minuten erklärt.
Die im Hintergrund arbeitende Programmierung hingegen ist eine Blackbox. Der unsichtbare Code ist sehr komplex. Umfassende Kenntnisse sowohl der Moodle-Fragetypen als auch der Excel-VBA-Programmierumgebung sind nötig, wenn jemand den Code nach dem Ablauf der Sperrfrist verstehen möchte. Das Knowhow wurde in Monaten erarbeitet. Daher ist ein Gesamthonorar von 100.000 Euro für die Überlassung des Quellcodes für den späteren OER-Einsatz angemessen. Ist das Gesamthonorar von den Investoren gezahlt, wird der Quellcode des Tools nach Ablauf von zwei Jahren veröffentlicht, so dass ihn jeder nutzen und verändern kann. Bis dahin erhalten Investoren kompilierte, lauffähige Vollversionen mit einer Befristung, die sich am Investitionsvolumen bemisst. Das kompilierte Tool funktioniert mit Excel-Versionen ab 2003.
Zur Nachprüfung der behaupteten Effizienz können potentielle Investoren eine auf 2 Tage befristete Testversion erhalten.
Beschreibung der Projekt-Risiken und Chancen
Risiken: Werden die Finanzierungsziele für die OER nicht bis zum festgelegten Zeitpunkt erreicht, bleiben Projekte unvollendet. Die Investoren müssen den Anspruch auf eine vollständige Fertigstellung aufgeben, weil dem Autor nicht die benötigten Mittel zur Verfügung gestellt werden können: Die OER-Finanzierung ist fehlgeschlagen. Der Autor darf vereinnahmte Zahlungen behalten, wenn er seine Zusagen und Vorablieferungen bis zu dieser Frist eingehalten hat. Im Gegenzug erhalten die Investoren als Entschädigung die unbefristeten Nutzungsrechte an allen bereits erstellten Materialien dieses unvollendeten OER-Projektes welches abgebrochen und nicht freigegeben wird.
Chancen: Ist die Finanzierung erfolgreich, muss der Autor sein Versprechen erfüllen und die vollständigen Materialien fristgerecht bereitstellen. Die von den Investoren benannten Gruppen haben vom Projektanfang an unterbrechungsfreien Zugriff auf das entstehende Material. Der Autor darf während der Frist bis zur OER-Freigabe weiterhin die nicht exklusiven Nutzungsrechte verkaufen. Seine dadurch erzielten Mehreinnahmen können zur Vorfinanzierung neuer Projekte verwendet werden. Am Tag nach der vereinbarten Sperrfrist von 2 Jahren muss das Material mit einer CC-BY oder CC0 Lizenz allen interessierten OER-Plattformen angeboten werden. Ab diesem Zeitpunkt kann es jeder im Sinne der UNESCO kostenlos nutzen, kopieren und verändern sofern die vom Autor X favorisierte CC-BY Lizenz Anwendung findet.
Eine Anregung für diesen Beitrag kam von der Zeit: https://www.zeit.de/digital/internet/2012-07/unglue-ebook-creative-commons